Ich hinke immer hinter mir her

Mara Mattuschka und die permanente performative Überschreitung

Tom Waibel in: Mara Mattuschka, Wien: Filmarchiv Austria 2019

„Ich hinke immer hinter mir her“, erklärt Mara Mattuschka in einem Oral History Interview, in dem sie mehr als drei Stunden lang Auskunft über ihr Leben gibt und Überlegungen zu ihrer Arbeit anstellt, „denn ich bin im Kopf immer viel weiter, weil es so viele Widerstände gibt.“ (Mattuschka 2012) Das Selbstzeugnis mag überraschen, denn kaum etwas charakterisiert den vielfältigen künstlerischen Ausdruck Mattuschkas besser, als ihr unbeschwerter und zugleich abgründiger Humor, mit dem sie in schier unerschöpflicher spielerischer Neugier die Brüche und Verwerfungen des menschlichen Begehrens auslotet, und sich dabei in so unterschiedlichen Medien wie Malerei, Film und Performance gleichermaßen lustvoll und präzise artikuliert. Mittels Exzess und Exzentrik, Übertreibung und Überschreitung lässt sie Widerstände und Grenzen scheinbar mühelos hinter sich, und dringt in die paradoxen Topologien einer sich selbst „bewussten Unschuld“ vor:

„Inspiriert von Alltäglichem, Kleinem und minimalen menschlichen Gesten, praktiziert Mara Mattuschka fröhlich-anarchisches Handeln und respektloses Betreten. Durch ausgelassene Kreativität, mit weit ausholendem Gestus, in Überhöhung und Übertreibung, erfolgt die Aufhebung der Distanz. Dies geschieht durch extreme Close-Ups, Aus- und Untersichten auf den Körper und dessen Details. In der Exzentrik der Charaktere, und auch durch direkten Blick in die Kamera finden Grenzaufhebungen statt.“ (Liebhardt/Braidt 2009: 180)

Witz und Gelächter 

Dabei ist es bemerkenswert, dass Mattuschkas ausgelassene Grenzaufhebungen und ihre permanenten performativen Überschreitungen in all ihrer fröhlichen Anarchie nie nach vordergründiger Komik suchen und offenbar auch nicht auf unser Lachen schielen. Ja, wo ließe sich etwas weiter von Mattuschkas Unternehmungen Entfernteres finden, als in Henri Bergsons Analyse des Gelächters? „Das Lachen bedarf offenbar des Echos […] Unser Lachen ist stets das Lachen einer Gruppe […] Das freieste Lachen setzt immer ein Gefühl der […] Hehlerschaft mit anderen Lachern […] voraus. […] Was […] lächerlich ist, ist eine gewisse mechanische Starrheit“ (Bergson 1900). Wenn Gelächter ausschließlich von solchen Beweggründen ausgelöst wird, dann zählen Mara Mattuschkas Arbeiten zu den ernsthaftesten Dingen der Welt. Mattuschka macht auch keine Witze, sofern wir Freuds Untersuchung des Witzes und seiner Beziehung zum Unbewussten folgen: „Der Witz […] besteht darauf, das Spiel mit dem Wort oder dem Unsinn unverändert zu erhalten, beschränkt sich aber auf die Auswahl von Fällen, in denen dieses Spiel oder dieser Unsinn doch gleichzeitig zulässig (Scherz) oder sinnreich (Witz) erscheinen kann“ (Freud 1905: 161), und: „Der Witz […] sucht einen kleinen Lustgewinn aus der bloßen bedürfnisfreien Tätigkeit unseres seelischen Apparats zu ziehen“ (Freud 1905: 168). Mara Mattuschkas Arbeiten überschreiten stets die Zulässigkeit von Scherzen und lassen den Sinnreichtum von Witzen mühelos hinter sich, und obwohl ihre künstlerischen Forschungen dem Lustgewinn durchaus nicht abgeneigt sind, verachten sie doch kaum etwas mehr, als den „kleinen Lustgewinn“, der aus einer bedürfnisfreien Seelentätigkeit resultieren mag.

Humor und Groteske 

Mattuschkas besonderer Humor ist weder komisch noch witzig, sondern überaus grotesk und das Groteske basiert auf ihrer außergewöhnlichen Souveränität in der Untersuchung von Körpern. Sei dies der Körper ihrer Alter Egos Mimi Minus, Madame Ping Pong oder Mahatma Gobi samt ihrer „irgendwie laxen Identität“ (W. H. 2008), seien dies die Körper der TänzerInnen an deren Performances sich Mattuschkas „filmisches Vokabular zärtlich und doch eigensinnig […] anschmiegt“ (Zakravsky 2005), oder seien dies die Körper der SchauspielerInnen, deren Geschichten lange vor dem realisierten Film „wie eine Polyphonie bereits in meinem Kopf“ tönen (Mattuschka 2018). Die Polyphonie im Kopf der Künstlerin korrespondiert mit der Polyphonie in Bachtins Literaturtheorie: Wenn Bachtin die grotesken Motive bei Rabelais und in dessen Welt der beginnenden Neuzeit beschreibt, ist es ausreichend versuchsweise die Eigennamen auszutauschen, um die grotesken Motive bei Mattuschka und ihrer Welt des „beginnenden Zwischenbereichs, in dem etwas Neues im Entstehen ist“, (Mattuschka 2012) zu benennen: Ihre „Motive haben etwas prinzipiell und unausrottbar ‚Nichtoffizielles‘: kein Dogmatismus, nichts Autoritäres, keine engstirnige Seriosität kann sie besetzen; sie widersetzen sich jeder Vollendung und Starrheit, jeder ungetrübten Seriosität und Abgeschlossenheit des Gedankens und der Weltanschauung.“ (Bachtin 1995: 50).

Was aber ist an einer solchen generellen Widersetzlichkeit grotesk? Im Hinblick auf die Körper findet sich das Groteske zweifellos in einer grundlegenden Unabgeschlossenheit und Geöffnetheit in ihren Beziehungen zu sich selbst und zu einer Welt, in der die gewohnten Ordnungen unwiederbringlich auf den Kopf gestellt werden. Im Hinblick auf die Begriffe findet sich dieses Groteske vermutlich in der unvermeidlichen Inversion von Sinn, die einer zugleich überschießenden Produktion von Sinn und seiner gleichzeitigen Zurücknahme gleichkommt. In der grotesken Polyvalenz, den hyperbolischen, unabgeschlossenen, durchlässigen und auf den Kopf gestellten Körpern von Mattuschkas Alter Egos, ihren PerformerInnen und ProtagonistInnen kommt eine gleichermaßen fremdartige wie vertraute Unendlichkeit zum Ausdruck, die in den Öffnungen und Falten, den Rissen und Bruchlinien der Körper eine fluide, polymorphe, überdeterminierte und übercodierte Körperlichkeit erscheinen lassen, die sich doch zugleich jeglicher Determination und Kodifizierung zu entziehen vermag. All diese grotesken Ambiguitäten gehen von Mattuschka selbst aus und verweisen auf Orte zurück, die sie – hinter sich selbst her hinkend – längst bereits wieder verlassen hat.

Selbstverständlich sind diese Orte unentwirrbar mit Wunsch und Begehren, Sexualität und Geschlechtszuschreibung verbunden, und die Geschichten dieser Ambivalenzen reichen weit über das Leben der Künstlerin hinaus. Mattuschka ist sich dieser Umstände durchaus bewusst: „Diese Geschichte beginnt lange vor meiner Geburt,“ sagt sie im Lebenslaufinterview. Ihre bulgarische Hebamme behauptete nämlich von der noch ungeborenen Mara, dass sie „ein männliches Herz“ habe und auch Maras Mutter ist davon überzeugt, dass sie „ein weibliches Kind mit einem männlichen Herzen“ (Mattuschka 2012) geboren habe. Lange nach dieser gesellschaftlichen Zuschreibung gibt Mattuschka zu Protokoll: „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich nicht so Anatomie-abhängig bin wie andere Leute.“ Ihre relative Unabhängigkeit vom anatomischen Sein experimentiert die Künstlerin in einem unablässigen Werden, in dem sie sich, ihre Kunstfiguren und ihre Sexualität immer wieder neu erfindet.

Vom Sein zum Werden 

Auch wenn Mattuschka kein Geheimnis daraus macht, dass ihr eigenes Werden bisexuell konnotiert ist, so weist sie doch vehement darauf hin, dass ihr Begehren nicht auf sexuelle Vorgänge und Praktiken reduziert werden kann. Diese Vehemenz findet in zeitgenössischen philosophischen Überlegungen ein starkes Echo: „Werden heißt, ausgehend von Formen, die man hat, vom Subjekt, das man ist, von Organen, die man besitzt, oder von Funktionen, die man erfüllt, Partikel herauszulösen, zwischen denen man Beziehungen von Bewegung und Ruhe, Schnelligkeit und Langsamkeit herstellt, die dem, was man wird und wodurch man wird, am nächsten sind. In diesem Sinne ist das Werden der Prozeß des Begehrens.“ (Deleuze/Guattari 1997: 371)

Das wiederholte Werden Mattuschkas schmiegt sich innig an das Werden und Begehren der grotesken Körper. Der bereits erwähnte Michail Bachtin hält diesbezüglich fest: „Der groteske Körper ist [...] ein werdender. Er ist nie fertig und abgeschlossen, er ist immer im Entstehen begriffen und erzeugt selbst stets einen weiteren Körper; er verschlingt die Welt und läßt sich von ihr verschlingen [...]. So ignoriert die künstlerische Logik des grotesken Motivs die geschlossene, gleichmäßige und glatte (Ober-)Fläche des Körpers und fixiert nur seine Auswölbungen und Öffnungen, das, was über die Grenzen des Körpers hinaus-, und das, was in sein Inneres führt.“ (Bachtin 1995: 358f). Kaum je standen Kunstwerk und Kunsttheorie in engerer Kommunikation als die Kunstfigur in Mattuschkas Plasma (2003) mit diesen Überlegungen: Während sich Mimi Minus im Prater angesichts der verzerrenden Abbilder, die ihr das Spiegelkabinett zurückwirft, lustvoll und unermüdlich neu erfindet, beginnt sich ihr groteskes Zerrbild allmählich von der Spiegelfläche abzulösen und zu verselbständigen. Am Ende begegnet die Protagonistin ihrem Spiegelbild schließlich in einer polymorph verwandelten Praterwelt wieder.

Wir haben bereits festgestellt, dass die grotesken Körper in Mattuschkas vielgestaltiger Welt nicht einfach komisch, witzig oder burlesk sind, denn sie besitzen durchaus auch das Potential zu Inversion und Chimäre und sind damit nicht frei von Elementen wie Furcht und Angst. Die Künstlerin selbst steht diesen Elementen freilich furchtlos gegenüber: „Ich denke, Menschen fürchten sich vor sehr vielen Dingen und am meisten fürchten sie sich vor sich selbst“ (Mattuschka 2018: 11). In gewisser Hinsicht ist diese Furcht vor sich selbst nichts anderes als der extreme Ausdruck einer einseitigen und dummen Ernsthaftigkeit, und Mattuschkas Spiel mit dem Grotesken eröffnet einen Horizont der Freiheit, von dem nur eine Welt ohne diese Art von Furcht überspannt wird. Um eine solche Freiheit zu erlangen, bedarf es zuvor eines „Unterwandern[s] von dominanten Geschlechtercodierungen und Geschlechtsidentitäten durch Körper- und Textpraktiken, die herrschende Diskurse variierend durchkreuzen, destabilisieren und einen Resignifikationsprozeß in Gang setzen“ (Kroll 2002).

Körper und Subversion
Selbstverständlich machen Mattuschkas unermüdlich unternommenen Resignifikationsprozesse auch vor der Sprache nicht halt. In ihrer Untersuchung Primäre
Sexualmerkmale sind vor allem grammatikalische Endungen arbeitet sie an der buchstäblichen Verkehrung von geschlechtlichen Zuschreibungen: „fualkoma ist unfeminin, doch uarf – das bin chi ohnehin…!“ (Mattuschka 2008: 23). Aber offensichtlich kommt Mattuschkas Werden auch durch einen solcherart umgedrehten Benennungsprozess nicht zur Ruhe und folglich fragt die Künstlerin immer weiter: „In meinem Kopf bin ich etwas ganz anderes. Ich stelle mich mir ganz anders vor. Das ist mein Körper, okay. Den habe ich geliehen oder der ist mir gegeben oder er ist mein einziges Eigentum, eine fallende Aktie, kann man sagen, ein Fleisch gewordenes Wollustfanal, wunderbar. Ja, das schon, aber Mara Mattuschka?“ (Mattuschka 2011: 18) Es ist ihr unablässiges Begehren und ihr vielfaches Werden, das die Künstlerin für künftiges Geschehen empfänglich macht und ihr damit neue Gegenwarten erschließt. Sie selbst reflektiert ihre eigene Entwicklung so: „Ich war eine etablierte Experimentalfilmerin, die jetzt narrativ geworden ist. Ich bin in einem Zwischenbereich, in dem etwas Neues im entstehen ist. Ich bin froh, wenn etwas stattfindet, denn das entlastet mich. Es ging ja nie um mich direkt, sondern immer um jemand anderen oder um etwas anderes“ (Mattuschka 2012).

Vermutlich gerade deshalb weil es ihr nie direkt um sich selbst ging, wurde es ihr möglich, die grotesken Körper, die sie formt, umformt und überformt, zu immer neuen Experimentierfeldern einer ganz bestimmten Subversion zu machen. Mara Mattuschkas subversive Macht zeichnet sich dadurch aus, dass sie einer fundamentalen Bejahung entspringt, einer unbändigen Freude, einem anarchischen Anspruch auf das Leben, und sich gegen alle und alles richtet, die es zu domestizieren, einzuengen und zu kontrollieren versuchen. Die generelle Dynamik künstlerischer Subversion wurde von Amos Vogel einer überaus gründlichen Untersuchung unterzogen, und in seiner Studie Film als subversive Kunst kommt er zu der folgenden Erkenntnis: „Im Grunde ist jedes Kunstwerk subversiv, wie es schöpferisch ist und mit der Vergangenheit bricht, statt sie zu wiederholen. Durch die Verwendung von neuer Form und neuem Inhalt bekämpft sie das alte, wenn auch nur auf Umwegen; es dient als ständig treibende Kraft zur Veränderung und befindet sich in einem permanenten Werden. Es ist deshalb Triumph, Ironie und unvermeidliches Schicksal der subversiv Schaffenden, daß sie sich, sobald sie ihr Ziel erreicht, sofort selbst überholt; denn im Augenblick des Sieges ist er bereits veraltet.“ (Vogel 1979: 323)

Vogels Analyse bringt ein grundlegendes Paradox in Mara Mattuschkas subversiven Werden zum Ausdruck: Obwohl die Künstlerin von sich selbst den Eindruck gewonnen hat, immer hinter sich her zu hinken, sehen wir ihr als ZuseherInnen doch dabei zu, wie sie sich in ihren Werken immer wieder selbst überholt und neu erfindet.

Nachweise

Michail M. Bachtin, Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur, Frankfurt 1995.
Henri Bergson, Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung des Komischen (1900), hier: Frankfurt 1988.
Gilles Deleuze / Félix Guattari, Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie, Berlin:1997.
Sigmund Freud, Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten (1905), in: Studienausgabe Band IV, Psychologische Schriften, Frankfurt 2000.
W. H.: Mara Mattuschka – Du meines Herzens Vibrator (2008), http://www.castyourart.com/2008/03/19/012-mara-mattuschka-du-meines-herzens-vibrator/ (zuletzt abgerufen am 1. April 2019).
Renate Kroll (Hg.), Gender Studies. Geschlechterforschung. Ansätze, Personen, Grundbegriffe. Stuttgart 2002.
Barbara Liebhardt / Andrea B. Braidt, Logik der bewussten Unschuld. Die Filmemacherin Mara Mattuschka. In: Diagonale. Festival des österreichischen Films. Katalog, Wien 2009.
Mara Mattuschka, Primäre Sexualmerkmale sind vor allem grammatikalische Endungen, in: Anna Babka / Susanne Hochreiter (Hg.), Queer Reading in den Philologien. Modelle und Anwendungen, Göttingen 2008.
Mara Mattuschka, Die Welt – ein Unfall. Pascal – Gödel – Wittgenstein, in: Jan Drehmel (Hg.), Wittgenstein-Vorträge. Annäherungen an einen Wissenschaftler, Berlin 2011.
Mara Mattuschka, Oral History Interview in der Österreichischen Mediathek, aufgenommen von Robert Puskas 2012. https://www.mediathek.at/portaltreffer/atom/1E2C4A0E-0F1-00004-00006AFA-1E2BEC9D/pool/BWEB/ (zuletzt abgerufen am 1. April 2019).
Mara Mattuschka, Phaidros. Pressemappe, http://stadtkinowien.at/media/uploads/filme/1072/phaidros_pressemappe_1.pdf (zuletzt abgerufen am 1. April 2019).
Amos Vogel, Kino wider die Tabus / Film als subversive Kunst, Frankfurt 1979.
Katherina Zakravsky, Choreographie der Kamera. Zur Interferenz von Film und Performance im Kurzfilm Legal Errorist von Mara Mattuschka / Chris Haring, in: DIAGONALE. Forum österreichischer Film 2005, http://2005.diagonale.at/releases/de/uploads/materialien/legalerrorist8.pdf (zuletzt abgerufen am 1. April 2019).